„Ich weiß, dass mein Erlöser lebt!“
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Hiob 19,19-27 (LUT17)
19 Alle meine Getreuen verabscheuen mich, und die ich lieb hatte, haben sich gegen mich gewandt. 20 Mein Gebein hängt nur noch an Haut und Fleisch, und nur das nackte Leben brachte ich davon. 21 Erbarmt euch über mich, erbarmt euch, ihr meine Freunde; denn die Hand Gottes hat mich getroffen! 22 Warum verfolgt ihr mich wie Gott und könnt nicht satt werden von meinem Fleisch?
23 Ach dass meine Reden aufgeschrieben würden! Ach dass sie aufgezeichnet würden als Inschrift, 24 mit einem eisernen Griffel und mit Blei für immer in einen Felsen gehauen!
25 Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben. 26 Nachdem meine Haut noch so zerschlagen ist, werde ich doch ohne mein Fleisch Gott sehen. 27 Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen und kein Fremder. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.
Ihr Lieben,
kleine Kinder haben so eine Phase — das geht meist mit drei, vier Jahren los —, in der sie ihre Eltern regelmäßig zur Verzweiflung bringen. Denn spätestens wenn Papa oder Mama innerhalb einer halbe Stunde zum 150. Mal gefragt werden: „Waru-hum“, dann wird es schwierig, noch eine sinnvolle Antwort zur finden.
„Warum ist es heute so kalt?“ — „Warum sind Omas Haare weiß?“ — „Papa, warum bist du so dick …?“ — Oder meine kleine 4-jährige Schwester fragte mich vor einer Weile mal: „Warum trägst du in der Kirche so ein schwarzes Kleid?“ … Setzt hier gern weitere beliebige Fragen ein.
Die Frage nach dem „Warum“ ist wohl die häufigste Frage, die wir im Leben hören — und auch selber stellen. Denn nicht nur unsere Kinder, sondern auch wir wollen Dinge ergründen; wir wollen die Dinge verstehen; wir wollen Kontrolle haben.
Und das gilt für meine Generation ganz besonders. Bei Menschen, die in den 1980er und 90er Jahren geboren wurden, ist die Frage nach dem „Warum“, die Frage nach dem Sinn, so tief verwurzelt, dass Soziologen sogar von der Generation Y — also der „Generation Warum“ sprechen.
Nun gibt es aber nicht nur solche banalen Warum-Fragen, wie ich sie genannt habe, sondern auch zutiefst existentielle und erschütternde: „Warum musste dieser Unfall geschehen?“ — „Warum hat mein Partner mich verlassen?“ — „Warum musste diese schwere Krankheit ausgerechnet mich treffen?“
Auch hier hat jeder von uns seine ganz eigenen Fragen. Sie scheinen mir alle auf ihre je eigene Art und Weise in der einen großen Warum-Frage zusammen zu laufen; die eine Frage, die uns im Leben immer und immer wieder begegnet. Sie ist vielleicht die größte und gleichzeitig die schwerste Frage und macht auch vor uns Christen nicht Halt: „Warum gibt es Leid?“ 2x — „Warum müssen Menschen leiden?“ — „Warum leiden manche Menschen mehr, manche weniger?“ — „Warum?“
Auf manche Teilfrage könnten wir natürlich eine Antwort finden, etwa warum es Krieg gibt: Weil Menschen eben ziemlich bescheuert sein können, um es kurz zu sagen. Bei anderen Fragen wird es schon schwieriger: Wie ist das mit Krankheit? Wir erleben es ja zur Zeit ganz extrem: Warum gibt es diese Corona-Krise mit all ihrer Not und ihrem Leid?
Man könnte nach Antworten suchen, auch nach theologisch sinnvollen Antworten, z. B. dass der Mensch sich von Gott, von dem der das Leben erhält, abgewandt hat. Solche Antworten können beim Verstehen helfen, aber sie werden auch an ihre Grenzen kommen.
So erleben wir es ganz massiv bei Hiob. Das ganze Buch in der Bibel, das nach ihm benannt ist, dreht sich um diese eine große Frage: „Warum muss der Mensch leiden?“
Zur Zeit des Alten Testaments ging man oft davon aus, dass ein Mensch das bekommt, was er verdient. Guten Menschen geht es gut, schlechten Menschen geht es schlecht. So die allgemeine Annahme. Aber bei Hiob passt das nicht! Er wird uns vorgestellt, als ein gerechter und frommer Mann, einer, der immer nach dem Willen Gottes zu leben versucht, einer auf den Gott sogar stolz ist.
Und ausgerechnet dieser Hiob muss nun leiden? Und nicht nur ein bisschen: Er verliert binnen eines Tages alles, was er hat: 500 Rinder und 500 Esel — weg! 7.000 Schafe und 3.000 Kamele — weg! Dazu alle Knechte, die bei ihm lebten und arbeiteten — weg! Und als wäre das nicht genug: Auch alle seine Kinder starben an diesem einen Tag. Wahnsinn!
Hiob verliert alles, was er hat und alles, was ihm lieb ist, an einem einzigen Tag. Und als wäre das nicht genug, dauert es nicht lange und er wird auch noch schlimm krank. Sogar seine Frau, der letzte Mensch, der noch an seiner Seite war, verlässt ihn nun. Das einzige, was ihm bleibt, ist das Warten auf den Tod.
Da kommt doch die Frage auf: Warum? Warum wird Hiob in solches Unglück gestürzt? Warum muss er solches Leid erfahren?
Wir als Leser kennen den Grund, auch wenn er uns vielleicht nicht einleuchten mag. Zu Beginn des Hiob-Buches wird erzählt, dass Hiob auf die Probe gestellt wird. Gott möchte dem Teufel beweisen, was für ein frommer Mann Hiob ist.
Hiob selbst weiß nichts davon. Ihm erscheint all dieses Leid sinnlos. Er kann es nicht begreifen. Über viele Kapitel können wir lesen, wie er mit Gott hadert. Man spürt, wie es Hiob das Herz zerreißt, wie er zu Gott klagt, ja Gott sogar anklagt.
Wie kann es sein, dass ein so frommer Mann leiden muss!?? In den Psalmen hören wir es doch immer wieder genau anders: Die, die an Gott glauben, wird Gott segnen! Warum ist das bei Hiob anders?? Er selbst findet darauf keine Antwort. Und auch seine Freunde, die von weit her zu ihm gekommen sind, um an seiner Seite zu sein, wissen keine gute Antwort. Sie wollen ihn belehren, aber tun ihm damit Unrecht.
„Warum muss ich leiden?“ Hiob wird auf diese Frage keine Antwort bekommen, so wie auch wir manchmal keine Antwort auf diese Frage bekommen. Um so erstaunlicher ist das, was wir in unserem heutigen Predigttext lesen: Nachdem Hiob seinen ganzen Frust und sein ganzes Leid hinausgeschrieen hat, hält er inne und setzt zu dem wichtigsten Wort an, das es im Leid gibt: Aber! In diesem kleinen Wörtchen — im Hebräischen ist es ein einziger Buchstabe — kommt so viel zum Ausdruck: Meine Situation mag fürchterlich sein, mein Leid unerträglich, aber ich habe einen Grund zur Hoffnung. Ich bin völlig verzweifelt, aber es gibt etwas, das alle Zweifel übersteigt!
Trotz allem, was Hiob widerfährt, sagt er: „Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt! — Ich weiß, dass Er als der Letzte sich über dem Staub erheben wird!“ Das heißt: Gott hat das letzte Wort! Selbst wenn alles vergangen ist, selbst wenn ich nur noch Staub bin, dann ist es nicht der Tod, sondern dann ist es Gott, der immer noch über den Dingen steht, dann ist es Gott, der alles überdauert, dann ist es Gott, der das letzte Wort spricht, das Wort des Lebens.
Hiob bekennt: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt!“ — Der Begriff des Erlösers — oder auch des Lösers — hat im Alten Testament viele Bedeutungen. Es handelt sich um jemanden, meist um einen nahen Verwandten, der meine ursprüngliche Situation wiederherstellt. Jemand, der meine Schulden begleicht. Jemand, der mich aus der Sklaverei freikauft, in die ich geraten bin — egal ob ich selbst daran Schuld hatte oder nicht.
Und so ist es nur folgerichtig, dass für uns Jesus Christus der Erlöser ist. Wir haben es im Wochenspruch und im Evangelium gehört: Jesus ist Mensch geworden, damit er sein Leben als Lösegeld für uns gibt. Jesus ist Mensch geworden, um unsere Schulden zu begleichen, das, was wir nicht begleichen können. Jesus ist Mensch geworden, um für unsere Schuld zu bezahlen. Damit wir frei sind, damit wir erlöst sind. — Nicht erst in der Ewigkeit, sondern schon hier und jetzt!
„Ich weiß, dass mein Erlöser lebt!“ — Das ist für Hiob mehr als ein frommer Wunsch, das ist sogar mehr als ein Bekenntnis, das ist Hiobs Identität, das, was ihm tief im Herzen ist. „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt!“ — Auf Gott setzt er all seine Hoffnung, auch wenn alle äußeren Umstände dagegen zu sprechen scheinen.
Zum Abschluss habe ich euch eine kleine Geschichte mitgebracht, die manche vielleicht kennen, geschrieben von Margaret Fishback Powers:
Eines Nachts hatte ich einen Traum:
Ich ging am Meer entlang mit meinem Herrn.
Vor dem dunklen Nachthimmel erstrahlten, Streiflichtern gleich, Bilder aus meinem Leben. Und jedesmal sah ich zwei Fußspuren im Sand, meine eigene und die meines Herrn.
Als das letzte Bild an meinen Augen vorübergezogen war, blickte ich zurück. Ich erschrak, als ich entdeckte, dass an vielen Stellen meines Lebensweges nur eine Spur zu sehen war. Und das waren gerade die schwersten Zeiten meines Lebens.
Besorgt fragte ich den Herrn: „Herr, als ich anfing, dir nachzufolgen, da hast du mir versprochen, auf allen Wegen bei mir zu sein. Aber jetzt entdecke ich, dass in den schwersten Zeiten meines Lebens nur eine Spur im Sand zu sehen ist. Warum hast du mich allein gelassen, als ich dich am meisten brauchte?“
Da antwortete er: „Mein liebes Kind, ich liebe dich und werde dich nie allein lassen, erst recht nicht in Nöten und Schwierigkeiten. Dort wo du nur eine Spur gesehen hast, da habe ich dich getragen.“
Ich wünsche euch, dass die Hoffnung auf unseren Erlöser Jesus Christus tief in euren Herzen ist, dass ihr voller Überzeugung in die Worte Hiobs einstimmen könnt: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt!“
Amen.